Der Pic de Campbieil ist ein durchaus spektakulärer 3.000er Gipfel in den Zentralpyrenäen. Er gilt als wenig begangen, da der Anstieg mitunter anspruchsvoll und steil ist. Das Pyrenäenpanorama dort oben soll allerdings gigantisch sein! Es ist die letzte Bergtour in unserem Pyrenäen / Languedoc-Roussillon Urlaub.
Die Tour 30 aus dem Rother Wanderführer – Pyrenäen 2 scheint auch die größte Herausforderung zu sein. Jedenfalls fiebern wir schon seit der Urlaubsplanung diesem Tag entgegen.
Tourensteckbrief
- Charakter:
Alpinwanderung (T4) - Anforderung:
Gute Kondition, gute Orientierung, Trittsicherheit, Alpine Erfahrung - Start/Ziel:
Lac de Cap de Long - Distanz: 11,5 km
- Reine Gehzeit: 0:30 h
- Höhenmeter: ↑ 1.045 m • ↓ 1.045 m
- Einkehr/Übernachtung:
Refuge Du Cap de Long
Etappen & Gehzeiten
- Cap de Long (1:20 h)
- Gourg de Cap de Long (2:15 h)
- Hourquette de Cap de Long (3:00 h)
- Refuge Du Cap de Long (5:30 h)
Zum Sonnenaufgang am Lac de Cap de Long
Als der Wecker uns an diesem Tag aus dem Schlaf reißt, ist es draußen noch dunkel. Mein erster Gedanke: Kaffee! Gibt es leider nicht, das ganze Hotel schläft noch. Mein zweiter Gedanke: Wir besteigen heute unseren ersten 3.000er und das in den Pyrenäen – Wahnsinn. Jetzt bin ich hellwach und hibbelig. Wenig später sitzen Karo und ich in unserem lieb gewonnen Fiat 500 und kurven im Dunkeln auf die spanische Grenze zu. Richtung Tunnel Routier d’Aragnouet-Bielsa. Vorher biegen wir aber ab und passieren die Seen Lac de L’Oule, Lac de’Orédon und jede Menge junge Wandersleut, die wohl eine ausgedehnte Tour um diese Seen vorhaben. Ist schon merkwürdig, so viele Leute: Ob da ein Event stattfindet? Wollen die auch alle auf den Pic de Campbieil???
Wir erreichen unseren Ausgangspunkt, den Lac de Cap de Long und sind schon auf 2.175 m. Er ist der größte See im Gebiet Néouvielle, mitten in den Pyrenäen. Inzwischen wird es hell und wir werden von einem schönen Sonnenaufgang begrüßt. Ein traumhaftes Schauspiel. Aber es ist verdammt kalt. Wir passieren bereits den abgelegenen Parkplatz für Wohnmobile, nachdem wir die paar Bistrobuden am Staudamm hinter uns gelassen haben. Hier muss vor Kurzem ein ordentlicher Felsabbruch stattgefunden haben. Die Hälfte des Areals ist von großen Gesteinsblöcken überschüttet – da müssen wir erst mal dran vorbei.

Zäher Aufstieg zum Pic de Campbieil
Die erste Etappe führt uns einige Zeit oberhalb des Seeufers entlang. Es geht auf einem Steig gemächlich dahin, später dann steiler bergauf. Als wir dem See den Rücken zuwenden, blicken wir in eine wildromantische Szenerie: Felsen, Latschen und ein Gebirgsbach. Später weicht die Vegetation einer kargen Mondlandschaft mit Gräsern, Flechten, kaum Blumen und jeder Menge Geröll und Fels. Das sind also die hochalpinen Pyrenäen. So richtig Zeit, um die Eindrücke auf mich wirken zu lassen habe ich gar nicht. Der Weg entwickelt sich erst zu einem groben Geröllfeld und fordert Konzentration. Der Gipfel des Pic de Campbieil spitzt schon hervor.
Karo und ich sind vollauf damit beschäftigt, unsere Tritte mit Bedacht zu wählen, gegen den immer stärker werdenden Wind anzukämpfen, uns im Gelände zurecht zu finden und eine gute Stelle zu finden, um den Gebirgsbach Ruisseau de Cap de Long zu überqueren. Es gibt zum Glück einige Steinmandl, die uns helfen, den Weg zu finden. Aber einen richtigen Weg gibt es nicht. Wir erreichen endlich das Plateau Cap de Long mit dem See – eher eine große Pfütze. Hier machen wir kurz Rast für einen Powerbar-Riegel und lassen die hochalpinen Pyrenäen stumm auf uns wirken. Momentan fühle ich mich wie in einem Hexenkessel: Die Felswände auf beiden Seiten drängen sich ins Bild.
Plötzlich poltert es in der Nähe ordentlich. Hört sich nach einem Felsabgang an. Unsere Augen suchen sofort automatisch die Felshänge um uns herum ab, entdecken aber nichts. Das ging zum Glück auf einer uns abgewandten Hangseite ab. Wir lassen den Tümpel hinter uns und kämpfen uns nun in Richtung Hourquette de Cap de Long hinauf. Der Wind ist inzwischen so stark geworden, dass wir mit Stöcken aufsteigen und uns regelrecht dagegenstemmen müssen.
Ein „Nein“ ist immer schwer zu ertragen
Wir erreichen schließlich das Hochplateau Hourquette de Cap de Long. Jetzt habe ich wirklich das Gefühl auf dem Mond zu stehen. Weißer Fels um uns herum und vor uns eine zerklüftete Gipfellandschaft mit breiten Schieferfeldern dazwischen. Wir sind inzwischen auf über 2.900 m und seit Beginn der Tour völlig einsam. Nach längerem Spähen kann ich endlich ein paar Schafe ausmachen, deren Gebimmel ich schon eine zeitlang höre, aber nicht ganz sicher war, ob mir die Höhenluft einen Streich spielt. Tut sie aber nicht: zum Glück! Alles bestens. Nur der Sturm zehrt an unseren Kräften – mehr als erwartet.

Und was jetzt folgt hat mich einige Zeit beschäftigt. Karo und ich wechseln ein paar Blicke in der unwirtlichen Landschaft. Blicken hinauf zum Gipfel. Dorthin sind es noch fast 200 Höhenmeter. Oben erwartet uns ein Grat, den wir bei Sturmböen bewältigen müssten. Zweifel kommen auf. Wir beantworten die Frage: „Sollen wir noch auf den Gipfel de Pic de Campbieil?„, beide schweren Herzens mit einem Nein. Fällt mir sehr schwer, aber Karo hat die richtigen Argumente: Kraftreserven, Witterung, es ist rutschig und Zweifel nagen an uns. Wir müssen nichts erzwingen oder herauf beschwören. Der Kompromiss: Wir gehen nun noch soweit hinauf, dass wir die 3.000er-Grenze überschreiten. Gesagt getan und so kommen wir doch noch auf unseren „3.000er“.
Wir kehren bei ca. 3.025 m um. Der Abstieg fordert schließlich wieder Kraft und viel Konzentration. Wir machen nur kurz Halt, um noch mal eine kleine Stärkung zu uns zu nehmen, bevor wir die nächste Etappe angehen. Karo träumt gerade von einem Teller mit Crepes unten am Staudamm, als hinter uns ein Trailrunner auftaucht. Er rennt zwar nicht, ist aber deutlich schneller unterwegs als wir. Wow, denk ich mir. Und einen Moment überlegen wir, ob das nicht Steve von uptothetop.de sein könnte.
Wir erreichen schließlich wieder den Lac de Cap de Long. Ich merke, dass meine Konzentration für heute erschöpft ist und bin froh, als wir den Wohnmobil-Parkplatz erreichen, dass wir doch nicht die zwei Stunden mehr auf uns genommen haben, um den Pic de Campbieil zu erklimmen. Wir müssen den Felsabbruch passieren und erkennen jetzt erst, wie massiv der Berg hier abgebrochen ist: Bei soviel Naturgewalt kann einem schon mulmig werden. Die Bistrobuden haben auch tatsächlich offen, als wir sie erreichen – eine zumindest. Da setzen wir uns jetzt hinein und genießen unsere Belohnung: Crepes und Tee. Wir sind schon ein bisschen stolz auf uns, auch wenn wir das eigentliche Ziel nicht erreicht haben, so sind Karo und ich doch auf eine neue Höchstmarke gekommen und haben eine eindrucksvolle Landschaft erkundet. Zudem haben blicken wir auf eine Woche Bergwandern in den Pyrenäen zurück. Und nicht zuletzt: Wir haben uns für weitere 3.000er-Touren ordentlichen Appetit geholt.