Das Wildalpjoch und der Wildschütz von Bayrischzell

Die Tour vom unteren Sudelfeld über die Kaserwand, zum Wildalpjoch und übers Sonnwendköpfl, zählt sicher zu den bekannteren Bergwanderungen im Mangfallgebirge. Das zeigt sich schon daran, dass man eigentlich so gut wie nie alleine auf den Gipfeln ist. Als Nebengipfel des weithin bekannten Wendelsteins, führen nicht nur viele Wege auf diese Gipfel, sie bieten bei guter Sicht und Wetterlage ein beeindruckendes Bergpanorama, mit namhaften Gipfeln wie den Großvenediger, den Großglockner, den Wilden Kaiser und viele mehr. Was aber kaum mehr einer weiß: In den 1940er Jahren, drei Jahre nach Kriegsende, ereignete sich zwischen dem Talort Bayrischzell und dem Gipfel des Wildalpjochs ein Unglück, ein Drama, das noch über Jahrzehnte die Bevölkerung bewegen sollte.

Variante:

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Tourensteckbrief

  • Charakter:
    Bergwandern (T2)
  • Anforderungen:
    Kondition, Trittsicherheit
  • Start & Ziel:
    Parkplatz Unteres Sudelfeld
  • Distanz: 8 km
  • Reine Gehzeit: 4:00 h
  • Höhenmeter:  760 m • ↓ 760 m
  • Einkehr/Übernachtung: keine

Etappen & Gehzeit

  • Lacheralm (01:20 h)
  • Gipfel Kaserwand (2:10 h)
  • Gipfel Wildalpjoch (2:30 h)
  • Gipfel Seewandköpfl (2:45 h)
  • Lacheralm (3:10 h)
  • Parkplatz Unteres Sudelfeld  (4:00 h)

Auf dem Weg zur Kaserwand

Unser Ausgangspunkt für diese Tour ist der Parkplatz am unteren Sudelfeld. Den erreicht man zum Beispiel von Bayrischzell kommend, wenn man sich die Serpentinen der Bundesstraße 307 hinauf arbeitet und dann kurz nach dem Abzweig zur Schindelberger Alm (rechts) links den Abzweig auf den Parkplatz nimmt. Die ersten knapp 400 Höhenmeter bis zur Lacheralm führen Antje und mich über Forststraßen und Pfade. Erst kurz nachdem wir den Auerbach auf einer Forststraße überqueren, führt ein Pfad, in den wir links einbiegen, steil bergauf und führt uns – teils als Steig – direkt zu den Hütten der Lacheralm.

Hier oben auf rund 1.425 Metern bietet sich bereits ein toller Ausblick über den Brünnstein bis zum Kaisergebirge. Überhaupt, dass das Gebiet der nördlichen Kalkalpen – also auch die Kaserwand, das Wildalpjoch und das Seewandköpfl – vor noch gut 250 Millionen Jahren hunderte Kilometer weiter südlich, also vor der Nordküste Afrikas, lag und dort als Grund eines subtropischen Ozeans sein Dasein fristete, scheint heute vergessen. Das Wildalpjoch war einst Teil eines riesigen Korallenriffs, das unzähligen Arten von urzeitlichen Pflanzen und Tieren als Lebensraum diente. Die Entstehungsgeschichte der Alpen ist so vielseitig wie spannend. In der Nachbarschaft von Kaserwand und Wildalpjoch findet sich der Lehrpfad Geo-Park Wendelstein, der sich in 36 Schautafeln genau mit diesem Thema beschäftigt.

Von der Lacheralm geht es dann zuerst wieder über eine Forststraße Richtung Nord-Osten bergauf. Bald treffen wir unterhalb zweier Steinhäuser auf einen Abzweig und wandern weiter über einen Pfad bergauf und der Kaserwand entgegen. Die Kaserwand kann man als geübter Bergwanderer oder auch als Kletterer erklimmen. Als wir von Süden her auf die Kaserwand zuhalten – wir queren dazu einen steilen Südhang entlang eines schmalen Pfades –, blicken wir auf die markante bis zu 45 Meter steil abfallende Felswand der Kasewand, die nach Süden hin senkrecht abfällt.

Den Gipfel erwandern wir von Westen über einen Sattel. Es führt an einer Verzweigung ein Pfad hinauf zur Kaserwand und auch nach links zum ca. 300 Meter Luftlinie entfernten Gipfel des Wildalpjochs. Ein klein wenig müssen wir auf die Kaserwand kraxeln. Die letzten Meter auf den Gipfel erfordern Trittsicherheit und den Einsatz der Hände. Im Gegensatz zum Wildalpjoch, bietet der Gipfel der Kaserwand ausreichend Platz für die vielen Bergwanderer. Wir machen eine kurze Brotzeit, bevor wir wieder weiterwandern und den Gipfel des Wildalpjochs in Angriff nehmen.

Blick vom Wildalpjoch zurück zur Kaserwand.

Vom Wildalpjoch zum Sonnwandköpfl

Der ist schnell erreicht: Wir kraxeln von der Kaserwand hinunter, wandern zurück auf den Sattel und weiter bergauf Richtung Westen, bis wir die rund 80 Höhenmeter zum Gipfel des Wildalpjochs überwunden haben und am Gipfelkreuz stehen. Um das Gipfelkreuz ist es felsig und wenig bequem. Die Gipfelstürmer, die an diesem Gipfel ihre Brotzeit genießen wollen, sitzen ein paar Meter unterhalb des Gipfelkreuzes. Dort findet sich viel Platz auf der Hangwiese. In jedem Fall hat man von hier oben ein wirklich fabelhaftes Bergpanorama.

Wir können an diesem sonnigen Wintertag sogar bis zum Großglockner und Großvenediger schauen. Und direkt vis a vis finden wir den Brünnstein, den Großen Traithen und im Westen den Wendelstein mit seinen modernen Gebäuden der Wetterstation. Vom Gipfel des Wildalpjochs geht es über den Westkamm bergab und schließlich durch eine Latschengasse auf einen Sattel. Von hier kann man den Abstieg zurück zur Lacheralm antreten. Wir gehen weiter auf der Route, die zur Lacherspitze, zum Wendelstein und dahinter bis zum Breitenstein weiterführt.

Bald kommen wir am Fuße des kleinen Nebengipfels – eher eine Felsnase – des Seewandköpfls vorüber. Von unserem Wanderpfand führt hier ein kaum erkennbarer und sehr steiler Steig hinauf zum Seewandköpfl. Wir müssen den Anstieg und Abstieg auf das Seewandköpfl mit Händen und Füßen bewerkstelligen. Das teils schotterige Gelände macht das ganze Unterfangen nicht einfacher: Das ist wirklich nur was für Trittsichere. Schließlich stehen wir auf dem Gipfel des Seewandköpfls, der als Felsnase nicht viel Platz bietet, und schreiben auch in dieses Gipfelbuch hinein.

Abendstimmung über dem Sudelfeld: Blick zum Traithen (re.) und Brünnstein (li.).

Der Wildschütz von Bayrischzell

Den Abstieg vom Seewandköpfl und zurück zur Lacheralm, nehmen wir über einen Steig, der zu Beginn steil den Südhang bergab führt, später als angenehmer Pfad an den beiden Steinhütten, an denen wir beim Aufstieg in Richtung Kaserwand abgebogen sind, vorüber. Wenig später stehen wir wieder an den zwei Hütten der Lacheralm und blicken zurück zur Kaswerwand, zum Wildalpjoch und auf das Seewandköpfl. Über die Forststraße wandern wir dann schließlich zurück zum Parkplatz. Begleitet vom goldfarbenen Licht der tief stehenden Sonne, erreichen wir den Parkplatz am Unteren Sudelfeld und blicken ein letztes Mal auf das Wildalpjoch.

Das es für den Hartl Hörmannsdorfer das Letzte war, was seine Augen sahen bevor er starb, wussten wir in dem Moment nicht. Der Hartl sei ein schneidiger Bursch, hieß es damals in Bayrischzell. Hartl Hörmannsdorfer war 1908 geboren und diente im Zweiten Weltkrieg als Soldat in der Wehrmacht und war Heeresbergführer. Er war auch ein froher Mensch, der Hartl. Überlebte den Krieg und lebte von da an zufrieden in Bayrischzell. Die ersten Nachkriegsjahre waren nicht einfach. Es gab nicht viel zu essen, Fleisch schon gar nicht. Es wäre sicher ein Einfaches gewesen, in den Bergwäldern um Bayrischzell ein Reh oder einen Hirschen zu schießen. Aber die Jagd war ausdrücklich von den amerikanischen Besatzern untersagt. Der Besitz eines Gewehrs sowieso!

Der Hartl – seine Büchse geschultert – zog aber dennoch los, mit dem Ziel, ein wenig Fleisch für den Kochtopf zu bekommen. Genau das machte ihn zum Wilderer. In den Augen der Bevölkerung damals ein Kavaliersdelikt, für die Forstwarte nicht. Also machte sich der Hartl Hörmannsdorfer auch am 30. Juli 1948 auf den Weg, schlich sich von Bayrischzell hinauf bis unter das Wildalpjoch, um einen Hirschen zu schießen. Was er nicht wusste: Ein Forstwart aus dem nahen Brannenburg war ihm auf die Schliche gekommen und stellte ihm nach. Am hohen Wildalpjoch stellte der Forstwart den Hartl und erschoss ihn. Die Bevölkerung von Bayrischzell war äußerst empört, als die Nachricht vom Tod des Hartl eintraf.

Volksheld post mortem

Sechs Tage wurde nach dem toten Wilderer gesucht. Unterhalb des Wildalpjochs fand man ihn schließlich. Es gab das bisher größte Begräbnis in Bayrischzell – seit Menschengedenken. Die Musikkapelle spielte ihm zu Ehren das Wildererlied „Ich schieß den Hirsch im wilden Forst“, Schützen allenortens gaben ihm das letzte Geleit, sogar Tiroler waren schwarz über die Grenze gekommen. Von den Bergen hallten Böller wie zuletzt zur Geburt eines königlichen Thronfolgers.

Für den Forstwart aus Brannenburg hatten sie nur Spott und Hohn übrig. Sie drohten ihm sogar Rache für den Hartl an. Bald gab das Amtsgericht der Klage des Forstwarts nach und ließ die Inschrift des Grabsteins vom Hartl Hörmannsdorfer, der auf dem Kirchhof in Bayrischzell steht, entfernen. Der Vers lautete: „Hier ruht unser lieber Hartl Hörmannsdorfer, welcher am 30. Juli 1948 im Alter von vierzig Jahren von einem feigen Jäger beim Wildern erschossen wurde!“. Und das war dem Forstwart aus Brannenburg ein Dorn im Auge, insbesondere, da die Bayrischzeller jedem Fremden gerne diesen Grabstein zeigten.

Der Grabstein kam weg! Der Hartl Hörmannsdorfer aber lebte indes weiter: Als Volksheld und auch als Theaterstück. Im Wilderermuseum im oberösterreichischen St. Pankraz, wird heute noch an die Geschichte des Hartl Hörmannsdorfer erinnert. Im Jahr 2009 sollte auf Initiative des Neffen, Engelbert Hörmannsdorfer, Grabstein und Inschrift auf dem Kirchhof in Bayrischzell zurück gelangen.

Bilder zur Tour